Berlin/Deutschland // Hotellerie // Lesedauer 7 Minuten
Andersrum ist ebenso normal wie hetero – zumindest in der biologischen Evolution. Längst beobachtet und dokumentiert: Säugetiere, Insekten und Vögel mögen es ebenso gleichgeschlechtlich wie der Mensch. Wenn Homosexualität ein natürliches Phänomen ist, wieso machen einzelne, randständige Homo sapiens noch ein Drama draus? Sex macht Spass – in welcher Konstellation auch immer. Die queere Zielgruppe wurde früh von der Hotellerie entdeckt. Ein besonderes Flair, ein einladendes Ambiente und eine Atmosphäre der Akzeptanz begeistert die LGBTQ+ Reisenden in den Axel Hotels.
Von der Vision zur Marke: Wie die Gründer eine starke Markenidentität entwickelten
Kennen Sie die TV-Soap «Queer as Folk»? Anfang der Nuller Jahre wurde diese TV-Produktion populär. Sie feiert die Vielfalt und handelt über das Leben, die Liebe, die Ambitionen, die Karrieren und die Freundschaften einer Gruppe schwuler Männer und Frauen aus Pittsburgh, Pennsylvania. Es ist ein kompromissloser Blick auf den modernen, urbanen Alltag und geht gleichzeitig auf die kritischsten gesundheitlichen und politischen Probleme, die diese Lebensentwürfe betreffen ein. Vielleicht war es Fernsehen vom Feinsten, was dazu führte, dass diese TV-Produktion schnell international ausgestrahlt wurde. Während die TV-Zuschauer in Europa mit besagter kanadisch-US-amerikanischer TV-Serie chillten, machte sich ein spanischer Unternehmer bereit, Träume zu verwirklichen.
Der gewiefte Unternehmer Juan Juliá eröffnete 2003 sein Hotel für die LGBTIQ-Community in der katalanischen Hauptstadt Barcelona. Es sollte eine kosmopolitische und tolerante Welt werden, in welcher Vielfalt mit Respekt behandelt wird. Entstanden ist ein modernes 101-Zimmer-Haus mit coolem Design und heisst AXEL. Die Zielgruppe schätzt den guten Service, das gleichgesinnte Publikum, den Respekt und die Atmosphäre des Hauses. Auch der gute Standort des Hauses bringt Pluspunkte: Die schwule Klientel mag Partys, Strand und Kultur, während die Lesbierinnen ihren Urlaub mit Kultur, Erholung und Ruhe ausfüllen. Das Konzept scheint aufzugehen. Woran liegt es?
Regenbogenfarben erobern den Markt: Marktwachstum andersrum
Experten des britischen Marktforschungsunternehmens LGBT-Capital schätzen aktuell den «Pink Dollar» weltweit auf 4.7 Billionen US-Dollar pro Jahr (gemessen als nominales BIP). Ausgehend davon, dass die LGBT-Bevölkerung 5 – 10% der Gesamtbevölkerung ausmacht, dies bei Personen ab 15 Jahren, besteht ein Potenzial von 388 Millionen Menschen weltweit. Was sind das für Kunden? Eine jüngere Studie aus Deutschland fasst es zusammen: Die unisexuelle Zielgruppe wohnt gerne in der Grossstadt, ist gut ausgebildet und hat ein höheres persönliches Netto-Einkommen als der übrige Bevölkerungs-Durchschnitt. Sie leben mehrheitlich in einem Einpersonenhaushalt und beschäftigen sich in der Freizeit häufiger mit Musik, Kunst und Kultur als die restliche Bevölkerung. Und diese Zielgruppe reist viel. Durchschnittlich viermal im Jahr – damit sind sie häufiger unterwegs als ihre «normalen» Mitmenschen. Städtereisen werden besonders favorisiert. Es ist längst erwiesen, dass Reisen den Horizont erweitert und toleranter macht. Dies macht sich auch bei den Jüngsten der Community bemerkbar, denn sie ist selbstbewusster. Passé die Pein, homosexuelle Neigungen zu unterdrücken und zu verschweigen. Eine kaufkräftige Gästeschar, die verzaubert werden will.
Wie AXEL seine Markenidentität über Jahre aufbaute
Innerhalb von 20 Jahren wird aus dem Designhotel in Barcelona eine einzigartige, internationale Gruppe mit aktuell zehn Hotels – Tendenz wachsend. Die Gäste vom anderen Ufer können gleich mehrere neue Hotspots ansegeln; Hotels in Barcelona, Berlin, Maspalomas, Ibiza, Madrid, Miami, San Sebastián oder Havanna sind auf der hoteleigenen Website zurzeit buchbar. Für weitere Expansion im 2024 sorgen Neueröffnungen in Valencia, Bilbao, Madeira. 2025 ist Wachstum mit einem Projekt in Porto geplant. Die meisten Herbergen haben 90 Zimmer, wobei das kleinste Haus in Kuba mit 63 Zimmer auch nicht zu den Winzlingen der Branche gilt. In Miami steht das grösste AXEL mit 160 Zimmern. Die hippen Schlaftempel sind zentral gelegen, überwiegend in wenigen Gehminuten von ortsbekannten Sehenswürdigkeiten entfernt. Restaurant, Rezeption und Designzimmer gehören zum Grundangebot, während LCD-TV, Roomservice, Minibar, Wi-Fi, Coffee & Tea Facilities sowie Kosmetik-Kit zur Zimmerausstattung des Unternehmens gehört. Fitness und Wellness sind das ganze Jahr über 24 Stunden geöffnet. Massagen gibt’s auf Vorbestellung. Die hauseigene Broschüre ist gewagt, aber stimmig. Auch die Details unterscheiden sich in dieser Hotelgruppe; neben dem gängigen «DO NOT DISTURB»-Schild, das man aussen an den Türknopf hängt, gibt’s hier das besondere Schild «PLEASE DISTURB». Damit signalisiert der Zimmerbewohner die Bereitschaft, andere Hotelgäste kennenlernen zu wollen. Ebenso harmonisch ist der Marketingauftritt: Hedonismus und Jugendkult der Szene wird in homoerotischen Looks im Print- und Online-Auftritt eingesetzt. Der Room-Mixer – eine hauseigene Dating-App – ergänzt das Angebot. Diese rosa Welt ist stimmungsvoll und professionell realisiert.
Authentisch oder angepasst? Die ewige Gratwanderung zwischen Markenidentität und Massentauglichkeit
Studien belegen, dass Marken doppelt so schnell wachsen, wie andere, wenn sie konsequent ihren Zweck verfolgen. In der Industrie des Glücks – der Hotellerie – scheinen diese Studien nicht angekommen zu sein. Von «Differentiate or die» auf Deutsch «Differenziere dich oder stirb» hat die Beherbergungsindustrie nichts gehört, so scheint es. Und dies, obwohl die Unterscheidung im Markt existenziell ist. Vor allem in einem gesättigten Markt ist es überlebensnotwendig, sich von der Konkurrenz zu differenzieren und dabei höhere Margen zu erzielen. Das hat die AXEL-Group in ihrer Wachstumsphase perfekt erkannt, was die respektable Expansion der letzten Jahre beweist. In den Köpfen der Zielgruppe ist die Hotelgruppe als «schwul» verankert und schliesst damit rund 90% der Bevölkerung systematisch aus. Diese Spezialisierung ist konsequent, mutig und betriebswirtschaftlich vielversprechend. Das Unternehmen hat es geschafft, in einem Oligopol eine reisefreudige und gut betuchte Zielgruppe zu bedienen. Zudem ist die anvisierte Zielgruppe gross genug, um sich weiter zu spezialisieren und damit die eigene Expansion voranzutreiben. Hotel-Konzepte wie «Men only», «Ladies only», «Boys only» oder «Gentlemen only» etc. wären nur einige Möglichkeiten die LGBTIQ-Community aufzusplitten, das Gästeerlebnis in jedem Segment zu steigern und dabei den Stammkunden-Lebenszyklus perfekt über Jahrzehnte zu bedienen. Potential ohne Ende, oder?
Schwul war gestern? AXEL riskiert seine Markenidentität mit neuem Slogan «Heterofriendly»
Die Ambitionen der Verantwortlichen gehen in eine andere Richtung: mit dem neuen Slogan «Heterofriendly». Wie bitte? Ein kurzer Blick auf die Website schafft Klarheit: «Als LGBTIQ-Hotelgruppe wurde der weltweitbekannte Begriff «Gay-Friendly» umgedreht und positiv besetzt…» so das Unternehmen. Ist das aus strategischer Sicht nun gelungen, clever, charmant und äusserst smart oder einfach nur Dummheit im Endstadium? Die Antwort darauf gibt’s, wenn der User online weiter scrollt. In der Rubrik Philosophie konkretisiert das Unternehmen: «Wir wollen Axel Hotels nicht nur als schwul definieren und haben dafür einen neuen Begriff kreiert. Heterofriendly.». Was soll das? Ist es plötzlich falsch queer zu sein? Wieso soll mit der Rosa-Zielgruppe nicht gutes Geld verdient werden? Wieso sinkt der Euro-LGBTIQ-Kurs bei der AXEL-Führung auf einem Mehrjahrestief? Betreibt das Management Pinkwashing?
Innerhalb von 20 Jahren entstand aus einem 101 Zimmer-Design-Hotel in Barcelona eine Hotelperle mit über 1000 Zimmern. Was für eine beachtliche Expansion, insbesondere vor dem Hintergrund, dass zeitgleich eine mehrjährige Pandemie die Welt in Atem hielt. Die Gruppe hat sich in zwei Jahrzehnten innerhalb der queeren Gästegruppe zur Institution gemausert. Wieso will die Leitung diese erfolgreiche Markenidentität dem Massenmarkt opfern? Werden bestehende Stammkunden treu bleiben, wenn sie abends in der Hotelbar auf ein Hetero-Publikum trifft? Oder greifen die Stammkunden dann auch zum Mainstream-PlattformBooking.com um nach dem günstigsten Hotel-Angebot zu greifen? Schliesslich ist Hotel doch Hotel und ein Bett ein Bett, oder?
Mut oder Wahnsinn? AXELs „Heterofriendly“-Strategie ist ein Spiel mit der eigenen Markenidentität
Vertrauen und Sicherheit sind entscheidende Faktoren für Gäste bei der Wahl eines Hotels. Hotelbewertungen haben sich zu einem kraftvollen Instrument entwickelt. Schaut man sich die Bewertungen zu AXEL-Hotel Berlin auf booking.com an, fällt auf, dass hier bereits Qualitäts-Probleme herrschen; das Gasterlebnis scheint nicht berauschend zu sein. Schade, denn Ferientage sind rar und ein zufriedener Gast erwartet einiges von seinem Hotelaufenthalt. Gemäss einer länderübergreifenden, repräsentativen Studie auf booking.com unter queeren Menschen zeigt sich, dass Diskriminierung eine zentrale Sorge beim Reiseerlebnis bleibt; 58% der weltweit schwulen und lesbischen Zielgruppe erleben Diskriminierung in den Urlaubswochen. Global gesehen steigt diese Zahl bei transmaskulinen auf 83%, bei transfemininen sogar auf 86%.
Marken, die Vertrauen ausstrahlen, werden bevorzugt. Wenn das AXEL-Management künftig nicht Schiffbruch erleiden will, wäre es an der Zeit zu erkennen, welche Gäste in der Vergangenheit den Erfolg der Gruppe verantwortet haben. Nur so wird aus einer jungen Prinzessin eine gefeierte, strahlende Queen. Das gefällt den Gästen und Investoren gleichermassen, versprochen!
Fazit
Schwul ist cool! Seit rund 20 Jahren sind homosexuelle Charaktere im Fernsehen nicht mehr wegzudenken – zumindest in Europa sowie Nordamerika. Dieser TV-Trend hat im realen Leben Einzug gehalten. Die Gesellschaft akzeptiert die quietschfidele pinke Welt mehr als je zuvor. Ein findiger spanischer Unternehmer machte sich das zu Nutze, und gründete 2003 seine LGBTIQ-Hotelgruppe AXEL. Eine clevere Positionierung für ein neues Hotelkonzept; so konsequent umgesetzt ist es konkurrenzlos im Markt und bedient eine Gästegruppe, die viel reist und nicht unter Geldsorgen leidet. Mit dem Zielgruppen-Fokus erfüllt das AXEL Gästewünsche besser als die Mitbewerber. Die Marke strahlt Vertrauen aus und zieht damit neue Gäste wie Motten das Licht an. Es ist ein Schatz, den man heben muss. Nach Jahren des Wachstums setzt das AXEL-Management auf einen neuen Slogan: «Heterofriendly». Ist das ein geschickter Marketingzug dieser Hotel-Perle oder ein fauliger Darmwind? Bilden Sie sich Ihre Meinung und sprechen Sie mit!
AXEL CORPORATION GRUPO HOTELERO SL
Consell de Cent
263 Entlo 1a
08011 Barcelona
Spanien
T +34 933 232 570
E-Mail: lopd@axelhotels.com
www.axelhotels.com
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Sehr gut beobachtet – spannender Beitrag 👍