Zürich / Schweiz // Fluggesellschaften // Lesezeit 9 Minuten
Meine Chair Airlines Erfahrung verführen mich zu diesem Bericht: Haben Sie schon einmal einen Flug erlebt, bei dem Sie sich wie ein VIP gefühlt haben? Nicht nur, weil der Champagner kalt war, sondern weil man merkte, dass jeder einzelne Mitarbeiter alles dafür gab, dass Ihre Reise perfekt wird.
Während die großen Fluggesellschaften oft im Stress der Massenabfertigung versinken, haben kleine Unternehmen die Chance, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: den Menschen hinter dem Ticket. Sie bieten nicht nur Flüge an, sondern ein Erlebnis. Ein Erlebnis, das man nicht vergisst.
Stellen Sie sich vor: Ein herzliches Lächeln bei der Anmeldung, ein persönliches Gespräch über Ihr Reiseziel und kleine Aufmerksamkeiten an Bord, die zeigen, dass man sich Gedanken gemacht hat. Das ist es, was eine kleine Airline so besonders macht. Es ist wie ein kleiner, feiner Laden, in dem man sich wohlfühlt und gerne wiederkommt.

Wenn Sie nun denken, hier folgt eine Geschichte à la David gegen Goliath, dann klicken Sie schnell weg. Meine Geschichte erzählt heute über eine kleine Schweizer Airline, die glänzen könnte wie ein Diamant, doch in der Realität nicht die Strahlkraft eines Bergkristalls erreicht – unterhaltsam ist sie alleweil.
Von Chair zu Swiss: Ein Upgrade oder ein Downgrade?
Ende Oktober 2024 soll mich ein Flug der Chair Airlines von Zürich nach Mallorca bringen. Ticket gebucht und bezahlt. Am Tag der Abreise, 20 Minuten vor dem geplanten Abflug, wird der Flug storniert. Angeblich wegen eines Gewitters. Keine Infos am Gate. Am Boarding-Schalter Ratlosigkeit beim Personal, jedoch nicht verwunderlich, da diese nicht bei Chair angestellt sind. Im Eiltempo zum Swiss-Schalter, teuren Ersatzflug ergattern, so dass meiner Anschlussreise in Palma de Mallorca nichts im Weg steht. Während der langen Wartezeit bis zum Ersatzflug versuche ich vergeblich, einen Ansprechpartner von Chair Airlines zu finden. Meine E-Mails an das Service-Center werden zu einem frustrierenden Pingpongspiel aus Ausreden und Paragraphen und ich fragte mich mehrfach: Habe ich ernsthaft bei einer Schweizer Airline gebucht? Oder doch versehentlich bei Air Koryo, welche offiziell als schlechteste Airline der Welt rangiert? Dieses Erlebnis hat meine Neugier geweckt: Wer ist dieser Carrier, wohin soll deren Reise gehen?


Polnische Investoren und Schweizer Charme: Das ungewöhnliche Erfolgsrezept von Chair Airlines
2018 wurde die Germania Flug AG von der insolventen deutschen Muttergesellschaft übernommen. Die Investmentgesellschaft Albex Aviation AG aus Zürich sicherte sich 100% der Airline. Im Mai 2019 stieg die polnische Chartergesellschaft Enter Air mit einem Anteil von 49,9 Prozent bei der Germania Flug AG ein. Nur einen Monat später erfolgte ein umfassendes Rebranding. Aus der Germania Flug AG wurde Chair Airlines, eine neue Marke mit einem komplett neuen Erscheinungsbild. Das Logo, die Uniformen des Kabinenpersonals, die Flugzeuglackierung und die gesamte Marketingkampagne wurden überarbeitet.
Jung und dynamisch – oder einfach nur grün hinter den Ohren?
Der Name steht im englischen für «Stuhl» ist aber auch ein Wortspiel: CH steht für die Schweiz, AIR für die Branche. Clever oder idiotisch? Vielleicht bringt der Slogan Licht ins Dunkle. Gemeint ist der Claim, ein Spruch oder Satz, der sich gut merken lässt und die Werbebotschaft der Marke einprägsam zusammenfasst. Hier wählt die Airline den Satz «Take a seat and fly.». Und ich frage mich erneut: Ist das ein Witz? Wen will das Unternehmen mit sowas überzeugen? Wo liegt die Differenzierung gegenüber der Konkurrenz? Was macht Chair anders, besser, überzeugender? Überzeugende Slogans aus der Flugbranche sind «Flüge, die wie im Flug vergehen.» von Air Canada oder «Wir erobern Ihr Herz im Flug.» von Air France. Kurz, sympathisch und mit Inhalt. Wenn Markenname und Slogan schwierig sind, wie steht es mit der Positionierung der Chair Airlines?
Die Markenessenz der Zürcher Firma: «Jung, unkompliziert, dynamisch mit einem fröhlichen, humor- und respektvollen Umgang mit Lieferanten, Kunden und Mitarbeitenden. Mit einer klaren Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Kunden, zu einem attraktiven Preis, möchte sich das Unternehmen zu einer festen Grösse in der Schweizer Luftfahrt entwickeln.».
Okay, liest sich nett. Lassen Sie uns das mal genauer analysieren:
- Jung bedeutet unreif, unerfahren, naiv, unüberlegt, verantwortungslos, oberflächlich oder zerbrechlich. Wer will mit sowas fliegen?
- Unkompliziert assoziiert man mit oberflächlich, unbedacht, unverbindlich und unprofessionell. Vielleicht sogar als kindisch, naiv oder unreif.
- Dynamisch darf man im Beispiel der Chair Airline getrost als überstürzt, unbeständig, chaotisch, aggressiv und oberflächlich definieren.
Bieten Humor und Respekt mehr Potential innerhalb der Markenessenz? Aus persönlicher Erfahrung kann ich über die Servicequalität nur den Kopf schütteln und was den angestrebten Respekt angeht, müssen die Verantwortlichen nachsitzen.
Versprochen ist versprochen? Was stimmt bei Chair Airlines?
Was denkt das Management von Chair Airlines über die eigene Leistung? Vielsagend lesen sich die Versprechen auf der Firmen-Website: «Als junge Schweizer Fluggesellschaft setzen wir auf eine schlanke Struktur, was uns ein Maximum an Flexibilität und Agilität im Markt ermöglicht. Durch ein hohes Maß an Professionalität, gelebte Freundlichkeit, höchste Sicherheitsstandards und die «Freshness» einer jungen Airline stellen wir Tag für Tag sicher, dass unsere Fluggäste die schönste Zeit des Jahres unbeschwert genießen können.». Lügt mich hier die Website der Airline ins Gesicht? Kann es sein, dass ein Newcomer nach den positiven Images der Schweizer Platzhirsche im Fluggeschäft, wie Swiss International Airlines, Helvetic Airways und Edelweiss Air, greift?



Vielleicht getreu dem Motto: Man nehme das positive Image der Schweizer Fluggesellschaften und klatsche einen Discount-Preis dran, der Rest wird überbewertet. Bei Chair Airlines zementiert sich dieser Eindruck. Die potentielle Kundschaft wird getäuscht, denn was draufsteht, steckt nicht drin. Stehe ich mit meinem Eindruck alleine da?
Chair Airlines – Ein Absturz im Bewertungsdschungel
Chair ist Meister darin, Kundenbeschwerden zu sammeln. Hier öffnet sich der Grand Canyon zwischen Eigen- und Fremdbild des Unternehmens. Ein Blick auf die Bewertungsplattform TripAdvisor bringt Klarheit. Das Leistungsversprechen der Fluggesellschaft ist riesig, die Realität eine bitterböse Enttäuschung. Die Mehrheit der (ehemaligen) verärgerten Kunden empfinden anfangs Dezember 2024 die Qualität des Newcomers als ungenügend:
- Ausgezeichnet: 74 Reisende
- Sehr gut: 43 Reisende
- Befriedigend: 24 Reisende
- Mangelhaft: 21 Reisende
- Ungenügend: 170 Reisende
Schlechte Noten gibt’s auch bei anderen Bewertungsportalen: Ähnliches katastrophales Bild zum gleichen Zeitpunkt erhalten potentielle Kunden, wenn sie die Bewertungsplattform Trustpilot konsultieren: Anfangs Dezember empfinden (ehemalige) 70% der Reisenden die Schweizer Fluggesellschaft als schlecht. Nur 16% geben der Gesellschaft Bestnoten:
- 5 Sterne: 16% der Reisenden
- 4 Sterne: 8% der Reisenden
- 3 Sterne: 2% der Reisenden
- 2 Sterne: 4% der Reisenden
- 1 Sterne: 70% der Reisenden
Die anvisierte «Freshness» der Fluggesellschaft scheint madig und geniesst einen weiten Blick auf die Rücklichter seiner Mitbewerber; in Sachen Qualität und Service liegt das Unternehmen hinter der Konkurrenz. Zudem ist augenfällig, dass keine einzige Kundenrückmeldung kommentiert wurde. Damit widerspricht Chair Airlines ihrer Markenessenz. Es sind hunderte verpasster Chancen, denn auf Rezensionen zu antworten bedeutet:
- Kundenorientierung: Nähe zum Kunden wird demonstriert, was das Vertrauen stärkt.
- Lernfähigkeit: Interne Schwachstellen werden identifiziert und ausgemerzt.
- Transparenz: Das Unternehmen demonstriert Offenheit und nimmt ihre Kunden ernst.
- Bewertung entschärfen: Dank einer angemessenen Reaktion werden Fehler öfter entschuldigt, was Beziehungen kitten kann.
Nachhaltig, fürs Wachstum einer jungen Fima, ist dieser Entscheid nicht. Sicherlich spart die Fluggesellschaft Zeit und Geld mit ihrem Beschluss. Zeitgleich widerspricht sie ihrer Strategie, einen respektvollen Umgang mit Kunden zu pflegen. Vielleicht ist es dem Unternehmen egal, was ihre Fluggäste wünschen. Oder sind die Herausforderungen des Marktes zu gross für diese kleine Schweizer Firma?

Billigflieger-Battle: Wer fliegt am besten für’s Geld?
Als Billig-Airline besteht das Geschäftsmodell darin, Betriebskosten zu minimieren und die Effizienz zu maximieren. Das ist okay. Nicht in Ordnung ist es, wenn man mehr sein möchte, als man sein kann, weil der Wille oder das Know-how fehlt. Andere Budget-Anbieter können’s besser. Unter den 100 weltweit besten Airlines, finden wir Fluggesellschaften mit ähnlicher Preisstrategie, die’s verstanden haben, ihre Kunden zu begeistern:
Ryanair auf Platz 63,
Easy-Jet auf Platz 66,
Eurowings auf Platz 70,
TUI Airways auf Platz 83.
Chair Airlines schaffte es nicht in dieses Ranking. Dies spricht für sich, denn Swiss Made steht weltweit für zufriedene Kunden. Die Strategie des Managements, Schweizer Qualität zum ALDI-Preis im Fluggeschäft anzubieten, ist von der Kundschaft – zumindest, wenn man die Bewertungen liesst – nicht erkannt. Zieht man das Ranking der besten Airlines hinzu, müssten die Verantwortlichen zugestehen, dass die Konkurrenz aus dem Günstig-Fluggeschäft es besser können. Machen sich die Teilnehmer dieser Branche gegenseitig kaputt mit unrealistisch tiefen Preisen?
Billig fliegen, teuer zahlen: Die versteckten Kosten des Sparflugs
Wie rentabel sind überhaupt Billigflüge? Im Schnitt verdienen Fluggesellschaften 2024 an jedem Passagier gut sechs Dollar. In diesem Jahr wird die Zahl der Fluggäste auf knapp fünf Milliarden ansteigen. Dabei wird ein Gewinn von über 30 Milliarden Dollar erwartet, so der Internationale Luftverband IATA. Liest sich erst mal gut. Die Realität ist wolkendurchzogener; laut einer Grafik des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft verteilen sich die Kosten bei einem Flugticket wie folgt:
16,8 Prozent Personalkosten
22,1 Prozent Steuern und Gebühren
25,8 Prozent für Treibstoff
34,4 Prozent für sonstige Kosten
0,9 Prozent Gewinn pro Ticket
Zur Veranschaulichung: Kostet ein Flugticket 100 Euro, bleiben der Fluggesellschaft davon 90 Cent. Bei dieser ruinösen Rendite wundert es nicht, dass jede weitere Leistung separat vergütet werden muss. Gebühren für Essen, Priority Boarding, Sitzplatzreservierung und Gepäck sind einige Möglichkeiten, den Gewinn zu steigern. Dieses Geschäftsmodel verfolgt auch die Chair Airlines und dies, in jüngster Vergangenheit, erfolgreich.
Nach einem positiven 2023 sind die Aussichten bei Chair sonnig: «Nach Covid und der Pleite von Germania haben wir den Turnaround geschafft», so der COE der Airline. 2023 wurde ein Umsatz von 110 Millionen Franken erwirtschaftet. Daraus resultierte ein Gewinn in einstelliger Millionenhöhe. Erarbeitet wurden dieses Ergebnis mit einer Airbus-Flotte bestehend aus drei A320 und einer A319. 2025 soll eine fünfte A320 angeschafft werden. Angeflogen werden bekannte Feriendestinationen in Europa und Nordafrika.
Nächste Woche, im zweiten Teil unseres Erfahrungsberichtes, zeige ich Ihnen, wie sich die Chair Airlines in Zukunft positionieren könnte, ohne sich zum billigen Kaspar zu machen. Folgen Sie uns auf Facebook, X oder Instagram, so dass Sie keinen unserer spannenden Portraits verpassen. Ich freue mich, nächste Woche mit Ihnen dieses Unternehmen weiter zu durchleuchten.
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